Was Heilpraktiker in einer 3000-Stunden-Vollausbildung lernen: Interview über die einzige Heilpraktiker-Schule mit staatlicher Anerkennung // Artikelserie im Heilpraktiker-Newsblog über die Perlen der Heilpraktiker-Ausbildung

Über die Therapien und die Ausbildung von Heilpraktikern gibt es in den Medien viele Falschberichte, die oft von der Anti-Heilpraktiker-Lobby mit Sitz im hessischen Rossdorf lanciert werden. Mit dem Heilpraktiker-Newsblog möchte ich diesen Desinformationen echte Informationen aus erster Hand entgegen stellen. Nachdem ich bisher bereits über die vielfältigen Therapien (z.B. TEM, Link) und Beliebtheit bei Patienten (Patienten-Geschichten, Link) berichtet habe, möchte ich in einer Serie mit mehreren Artikeln über die Ausbildung der Heilpraktiker berichten, und zwar über die Perlen der Ausbildung.

Eine dieser Perlen der Heilpraktikerausbildung ist eine Schule. Das Besondere: Sie ist staatlich anerkannt. Die Wilhelm-Rehberg-Schule in Wunstorf ist die einzige Heilpraktiker-Schule in Deutschland, die im Landesschulgesetz verankert ist. Sie bietet die Voll-Ausbildung für den Beruf. Wie die Ausbildung dort aussieht und was Heilpraktiker in der 3000-Stunden-Ausbildung lernen, besprach ich mit der Schulleiterin Michaela Kabbe, die gleichzeitig Vorsitzende des Niedersächsichen Heilpraktikerverbandes im FDH ist.   

Christian Becker: Wie ist es zur staatlichen Anerkennung gekommen?

Michaela Kabbe: Gestatten Sie mir einen kleinen „geschichtlichen“ Rückblick, um zu verdeutlichen, welchen Stellenwert die Ausbildung traditionsgemäß im Kollegenkreis schon immer hatte und wieviel persönlicher Einsatz aus Heilpraktikerkreisen dafür erbracht wurde:

Wilhelm Rehberg, der Namensgeber und Begründer unserer Schule, geboren 1897, hatte seine Ausbildung an einer Abendschule gemacht. Von 1930 bis zur Eröffung einer eigenen Praxis im Jahre 1937 übte er seinen Beruf als Heilpraktiker in Wunstorfer Gaststätten aus, weil ihm entsprechende Räumlichkeiten fehlten. Während des zweiten Weltkriegs wurde er nach wenigen Monaten vom Dienst an der Waffe freigestellt, weil in Wunstorf die ärztliche Versorgung unzureichend war. 1947, am Tage der Gründung des heutigen Niedersächsischen Heilpraktiker-verbandes e.V., wurde er zum Landesverbandsvorsitzenden gewählt.

Schon frühzeitig ging es Wilhelm Rehberg darum, den Heilpraktikernachwuchs zu fördern und fundiert auszubilden.

Und – schon damals gab es eine Initiative der Heilpraktikerverbände Norddeutschlands für den Aufbau einer gemeinsamen Schule.

Nach dem Kauf des Verbands- und Schulgebäudes in der Alten Bahnhofstr. 26 in Wunstorf stellte Wilhelm Rehberg zunächst aus seinem privaten Vermögen 60 000 DM dem Verband zur Verfügung, um notwendige baulichen Arbeiten vornehmen zu können.

Im Kollegenkreis wurde nach wie vor dafür plädiert, eine richtige Schule aufzubauen, um einen geordneten Unterricht sicherzustellen. Das geschah zunächst in Form einer Abendschule.

Am Sitz des Verbandes in Wunstorf, Alte Bahnhofstr. 26, wurde dann 1980, nach dem Tod von Wilhelm Rehberg im Jahr 1979, nach Abschluss umfangreicher Erweiterungsmaßnahmen, zusätzlich die sog. „Tagesschule“, eine Vollzeitschule,  mit zunächst wenigen Schülern ins Leben gerufen.

Bei der offiziellen Eröffnung 1981 waren es dann 160 Schüler und 12 unterrichtende Dozenten.

Den Abendschulbetrieb gab es weiterhin, da sich herausstellte, dass leider nicht alle Interessenten in der Lage waren, die Tagesschulausbildung zu absolvieren.

Im Laufe der Zeit erlangte die Schule immer mehr Beachtung in der Öffentlichkeit. Es entstanden Kontakte zu politischen Vertretern aller damalig im Landtag vertretenen Parteien, die über viele Jahre gepflegt wurden und gegenseitiges Vertrauen wachsen ließen.

Im Bestreben, der Schule den Status einer anerkannten Ausbildungsstätte zu verschaffen, bemühte man sich seitens der Heilpraktikerschaft zunächst auf ministerieller Ebene – leider ohne Erfolg.

Im Laufe der Zeit gab es allerdings irgendwann von Politikerseite die Frage, ob man für die Gruppe der Heilpraktiker/innen etwas tun könne.

Quasi als Antwort wurde den Politikern das Ausbildungskonzept der „Tagesschule“ erläutert. Es wurde mit Begeisterung aufgenommen, weil diese „Rund-um-Ausbildung“ eindeutig dem Patientenschutz zugute käme und man in Sachen Heilpraktikerausbildung ein Zeichen setze. Es herrschte Einigkeit unter den Vertretern aller Parteien (SPD, CDU, FDP, Grüne), dass es sich hier um eine sinnvolle Sache handele.

Diese Einigkeit führte zu entsprechender Beschlussfassung und schließlich1998 zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes und der Anerkennung der Wilhelm-Rehberg-Schule als Ergänzungsschule im Sinne des Gesetzes. Tatkräftige Unterstützung gab es auch seitens des damaligen Gutachterausschutzvorsitzenden für Heilpraktiker im Land Niedersachsen und der Bezirksregierung.

 

Christian Becker: Was lernen Heilpraktiker in der Voll-Ausbildung? Stellen Sie bitte die Ausbildung an Wilhelm-Rehberg-Schule kurz vor.

Michaela Kabbe: Die Wilhelm-Rehberg-Schule in Wunstorf ist eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule zur Ausbildung von Heilpraktiker*innen.

Eine Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes führte 1998 zur staatlichen Anerkennung,„mindestens 18 Monate lang durch einen mindestens halbtägigen Unterricht in wenigstens drei im Heilpraktikerwesen nicht nur vereinzelt vertretenen

Behandlungsmethoden“ umfassend auszubilden.

Unterrichtet wird bei uns nach einem behördlich genehmigten Lehrplan. Unsere Ausbildung – wir nennen sie „Tagesschule“- ist für Menschen ohne medizinische Vorkenntnisse ausgelegt; sie umfasst insgesamt 3000 Unterrichtsstunden.

Unsere erfahrenen Dozenten sind zum großen Teil ehemalige Schüler unserer Schule und arbeiten schon lange in eigenen Praxen. Da ihnen außerdem die Ausbildung junger Kolleg*innen

sehr am Herzen liegt, nehmen sie sich gern zusätzlich die Zeit, um bei uns zu unterrichten.

Als tragfähige Basis des zukünftigen Berufes legen wir größten Wert auf die Vermittlung umfangreicher medizinischer Kenntnisse.

Von Schulinteressenten wird oft die Frage gestellt, was das genau bedeutet und warum diese Kenntnisse für den Heilpraktikerberuf überhaupt wichtig sind.

Groß ist der Eifer, sofort mit dem Erlernen der Therapieformen zu beginnen.

Gewissensfrage: Kann ich bei gesundheitlichen Störungen helfen, die ich gar nicht verstehe? Wenn ich die Zusammenhänge im Körper nur ganz vage kenne und im Grunde nicht beurteilen kann?

Die Antwort darauf ist – bei allem Eifer- ein klares „Nein“.

Also muss ich mich als Heilpraktikeranwärter an spannenden Stoff wagen:

Es beginnt damit, wie eine einzelne Zelle unseres Körpers aufgebaut ist, welche Vorgänge dort ablaufen, schließlich auch, welche unterschiedlichen Zell- und Gewebsarten in unserem Körper zu finden sind.

Dann erlernt man, wie jedes unserer Organe im Körper aufgebaut ist. Dabei schaut man zunächst auf alle (!) „Einzelteile“, die für dieses Organs rein mechanisch von Bedeutung sind, dann darauf, wie das Organ „funktioniert“.

Zudem erlernt man, welche Vorgänge im gesamtem Körper dafür sorgen, dass dieses Organ in gewünschter Weise funktioniert – und was alles schließlich dafür verantwortlich sein kann, dass gesundheitliche Störungen auftreten. So lernt man nach und nach die Funktionsweise des gesamten menschlichen Körpers kennen.

Das Erlernen und Verstehen entsprechender medizinischer Fachausdrücke gehört selbstverständlich zum Lernstoff dazu, weil der Behandler z.B. den evtl. mitgebrachten ärztlichen Befundbericht lesen, verstehen und dessen Inhalt dem Patienten erklären können muss.

Erst mit diesem Basiswissen ist es möglich, zu beurteilen, ob der Patient mit seinem gesundheitlichen Problem in der HP-Praxis behandelt werden kann und darf oder ob er, evtl. auch dringend, in die Hand eines Arztes oder gar als Notfall in ein Krankenhaus gehört.

Diese Beurteilung ist bei jedem Patienten in der Praxis die Grundlage unseres Handelns – zur Sicherheit des Patienten, aber auch der des Therapeuten.

Zum Lehrplan gehören deshalb u.a. Zell- und Gewebelehre, Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie (Lehre von den krankhaft veränderten Körperfunktionen sowie ihre Entstehung und Entwicklung) des menschlichen Körpers, aber auch Störungen der Psyche.

Unterricht in Infektionslehre und Infektionskrankheiten gehört dazu, ebenso wie Berufs- und Gesetzeskunde sowie Praxishygiene.

Die Interpretation grundlegender Laborwerte, das korrekte Handeln in Notfallsituationen in Theorie und Praxis, aber auch grundlegende Kenntnisse in der Arzneimittellehre (Pharmakologie) werden vermittelt.

Neben fachgerechter Anamnese und Befunderhebung erlernt man theoretisch und praktisch klinische Untersuchungsmethoden wie z.B. Puls- und Blutdruckmessung, Reflexprüfung, das Abtasten, Abklopfen und Abhorchen des Patienten.

Im Rahmen des Unterrichts erlernen unsere Schüler*innen außerdem die Grundlagen der gängigsten naturheilkundlichen Diagnose- und Therapieverfahren – in Theorie und Praxis. Dazu gehören z.B. die Irisdiagnose, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Akupunktur, Osteopathie, Chiropraktik, aber auch die fachgerechte Verabreichung von Injektionen und Infusionen.

Im zweiten Ausbildungsjahr startet der Unterricht im schuleigenen „Ambulatorium“ (Lehrpraxis).

Hier werden unter Aufsicht erfahrener Kolleg*innen Patienten behandelt, aber es wird auch immer wieder praktisches Arbeiten aneinander geübt. Hinweise zu Praxisführung und  Abrechnung der erbrachten Leistungen am Patienten runden die „Praxisarbeit“ ab.

Man lernt die vielfältigen Hilfestellungen und Möglichkeiten, die naturheilkundliche Therapien für den Patienten bieten können, aber auch, wann man sie nicht einsetzen sollte.

Man erlernt das Erarbeiten eines individuellen Therapiekonzeptes für einen Patienten – und erkennt nicht zuletzt auch, wo die eigenen Neigungen und Fähigkeiten in puncto Therapien liegen.

Eine Ausbildung zur Praxisreife – weitere Fortbildung erwünscht!

Unterrichtet wird bei uns im festen Klassenverband.

Regelmäßige Anwesenheit im Unterricht ist zwingend erforderlich, zum einen, um die Stofffülle aufnehmen zu können, zum anderen, weil regelmäßige Unterrichtsteilnahme eine der Grundbedingungen zum erfolgreichen Abschluss der Ausbildung sowie der Erlangung des Zeugnisses ist.

Pro Woche stehen von Montag bis Freitag 25 Unterrichtseinheiten á 45 Minuten (außer in den nieders. Schulferien) im Stundenplan.

Zu Hause sollte der Unterricht grundsätzlich nachbereitet werden. Zeitaufwand: durchschnittlich ca. zwei bis drei Stunden täglich.

Nun versteht man den Begriff „Tagesschule“ und „Vollzeitausbildung“ sicherlich besser, denn der „Lernaufwand“ füllt einen 8-Stunden-Arbeitstag an fünf Tagen in der Woche.

Regelmäßige Leistungskontrollen in allen Fächern sowie eine Zwischenprüfung nach einem Jahr geben Orientierung, den eigenen Lernfortschritt einzuschätzen und Lücken zu erkennen.

Was unsere Leistungskontrollen sowie auch unsere Abschlussprüfung angeht, bekommen wir von der Landesschulbehörde Vorgaben, wie sie zu erfolgen haben. So enthalten unsere Klausuren vorwiegend fallorientierte Aufgaben mit unterschiedlichen Niveaustufen, um erkennen zu können, ob das erlernte Wissen nicht nur abgerufen, sondern auch angewendet und übertragen werden kann.

Multiple Choice, die Frage-Technik der schriftlichen amtsärztlichen Überprüfung, ist vorwiegend der im Unterricht eingeschlossenen (Über-)Prüfungsvorbereitung vorbehalten.

Die Ausbildung endet mit unserer Schulprüfung in Theorie und Praxis.

Nach bestandener Abschlussprüfung und mindestens ausreichenden Leistungen in allen Fächern erhalten unsere Schüler*innen ein Zeugnis mit Stempel der Landesschulbehörde – als schriftlichen Nachweis einer umfassenden Heilpraktiker-Ausbildung.


Serie im Heilpraktiker-Newsblog über die Perlen der Heilpraktiker-Ausbildung:

Artikel 1: Was lernen Heilpraktikern in der 3000-Stunden-Vollausbildung? Interview mit der Schulleiterin der staatlich anerkannten Heilpraktiker-Schule in Niedersachsen

Artikel 2 demnächst: Was bringt die Vollausbildung von Heilpraktiker über 3000 Stunden für Patienten und Heilpraktiker? Wie kann man die Desinformationen der Anti-Heilpraktiker-Lobby entgegnen? Interview mit einer Ausbildungs-Expertin, die selbst unterrichtet und praktiziert.

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