85 Jahre Heilpraktikergesetz: Ein kleiner historischer Einblick in die Entstehung / Von Gastautorin Ursula Hilpert-Mühlig

Jubiläen werden gerne zum Anlass genommen, ein Thema näher zu beleuchten. So habe ich zum 85. Geburtstag des Heilpraktikergesetzes in diesem Jahr jemanden gesucht, der die Entstehung des Gesetzes kennt und darstellen kann. Und wer wäre dafür besser geeignet als eine Heilpraktikerin, die das Gesetz genau kennt und auf eines der umfassendsten Archive zum Thema Heilpraktiker zurückgreifen kann. 

Die Heilpraktikerin Ursula Hilpert-Mühlig (und Präsidentin des größten Heilpraktikerverbandes FDH – Fachverband Deutscher Heilpraktiker) beschäftigt sich seit Jahren aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Thema Heilpraktikergesetz. Sie recherchierte zum Gesetz in einem der umfassendsten Archive Deutschlands zum Thema Heilpraktiker – gesammelt und betrieben vom FDH. Dieses Archiv in Bonn umfasst Originaldokumente von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute und ist in zwei Räumen untergebracht. Es wird immer wieder von Doktoranden für historische Recherchen zum Thema Heilpraktiker oder Medizingeschichte – oder auch zur Homöopathie – genutzt. 

Ursula Hilpert-Mühlig hat ihre Recherchen zum Heilpraktikergesetz in einem Artikel zusammengefasst, der am 9. April in der Fachzeitschrift „Der Heilpraktiker“ (mgo Fachverlage, Kulmbach/ Offizielles Organ des FDH) erschienen ist. 

Da das Thema sicherlich viele Heilpraktiker und Homöopathen interessiert, haben Frau Hilpert-Mühlig und der Verlag freundlicherweise zugestimmt, den Artikel auch online im Heilpraktiker-Newsblog und im Homoeopathiewatchblog zu veröffentlichen und als gedruckten Artikel (mit April-Heft „Der Heilpraktiker“) kostenlos zur Verfügung zu stellen (Link zum Bestellen beim Verlag). 


Unter dem Online-Artikel sehen Sie eine Originalabbildung des Gesetzes/Titelblatt (aus Archiv des FDH zum Thema Heilpraktiker)

Vor 85 Jahren wurde das Heilpraktikergesetz erlassen

Ein kleiner historischer Einblick in die Entstehung

Von Ursula Hilpert-Mühlig

Ein denkwürdiger Tag war es allemal, der 17. Februar 1939, der das Aus für den Beruf des Heilpraktikers einläuten sollte: An diesem Tag wurde das „Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz)“ verabschiedet, das am 20.Februar 1939 im Reichsgesetzblatt verkündet wurde und tags darauf in Kraft trat. 

Vorausgegangen war – unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nazis im Jahre 1933 – die Gründung des Heilpraktikerbundes Deutschland, der dem Reichsinnenministerium unterstand. 

Auf der Bayerischen Landestagung des Heilpraktikerbundes am 26. und 27. November 1933, die dem Parteiorgan der NSDAP „Völkischer Beobachter“ den Aufmacher „Ärzte und Heilpraktiker in einer Front“ wert war, wurde den Heilpraktikern die „Anerkennung als Stand“ in Aussicht gestellt. 

Im Entwurf hatte damals schon ein vom Kabinett bereits verabschiedetes Heilpraktikergesetz vorgelegen, das aber unter Verschluss gehalten wurde. Unter diesen Prämissen verhandelten in den folgenden Jahren Standesvertreter der Ärzte und der Heilpraktiker, um den Beruf des Heilpraktikers endgültig zu legalisieren, nachdem der Reichsärzteführer schon frühzeitig erkannt hatte: “Das Verbot der Heilkundigen – das geht nicht.“ 

Reichsheilpraktikergesetz scheiterte 

Spätestens im Jahre 1937 kamen den Berufsvertretern der Heilpraktiker Zweifel über die Ernsthaftigkeit dieser Einsicht, und in einem namentlich nicht gekennzeichneten Artikel mit dem Titel „Kurierfreiheit und Nationalsozialismus“ schrieb der offenbar gut informierte Autor: „Die Mitglieder des Heilpraktikerbundes und wir selbst haben leider Veranlassung festzustellen, dass der seinerzeit auf Wunsch der Führung von Partei und Staat geschlossene Burgfriede zwischen Ärzten und Heilpraktikern mancherorts von ärztlicher Seite nicht mehr gewahrt wird.“

Es lägen „uns immer wieder zuverlässige Berichte über laute Stimmen aus dem ärztlichen Lager“ vor, „in denen offen nach einer völligen Aufhebung der Kurierfreiheit unter gänzlicher Abdrosselung des Heilpraktikerstandes gerufen“ werde. 

Eine Einigung zu einem „Reichsheilpraktikergesetz“ scheiterte schließlich an der Frage des Heilpraktikernachwuchses, den die Ärzte nicht zulassen wollten. Die Wende zur kolportierten „Abdrosselung“ leitete der Reichsärzteführer selbst ein. In einer – bemerkenswert vulgären – Rede vor Ärzten in Lübeck meinte Gerhard Wagner am 30. Mai 1937: „Ich war mir vom ersten Tage darüber klar, dass Kurierfreiheit und Nationalsozialismus zwei absolut unvereinbare Begriffe sind.“ 

Er war sich der Widersprüche zu seinen früheren Äußerungen in München wohl bewusst und meinte dazu: „Es wäre total blödsinnig gewesen, wenn ich mich 1933 nach berühmten Mustern hingestellt und erklärt hätte: Die Kurierfreiheit ist Blödsinn, die einzigen, die das machen können, sind nur die deutschen Ärzte:“ Und weiter: „Ich habe in einer Besprechung im Ministerium kürzlich zum Ausdruck gebracht, dass es eine Unmöglichkeit ist, dass der Staat zunächst einmal den Ärztestand hat, für dessen Ausbildung er viel Geld ausgibt, und danach noch einen zweiten Stand zu schaffen, der in kleiner Schulmedizin macht. Wenn das wirklich der Fall wäre, wäre ja auch der ein Idiot, und jeder Vater gehörte sterilisiert, der seinen Sohn noch auf die Hochschule schickte.“ 

Schließlich kündigte Wagner das weitere Vorgehen gegen den Heilpraktikerberuf an: „Die Aufhebung der Kurierfreiheit soll eben so erfolgen, dass wir die Heilpraktiker, die in Ordnung gehen, in Gottes Namen verdauen wollen und dass in Zukunft nur mehr der deutsche Arzt und in einigen Fällen Leute, die den Nachweis bringen, dass sie besondere heilerische Fähigkeiten haben, zur Praxis zugelassen werden.“ 

Damit hatte offenbar auch die Mitsprache der Heilpraktiker-Standesvertreter ein Ende gefunden. Mit dem Erlass des Heilpraktikergesetzes vom 17. Februar 1939 und der 1. Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 18. Februar 1939 wurden sie vor vollendete Tatsachen gestellt. 

Dem „Reichsheilpraktikerführer“ Ernst Kees blieb nur, in einem nachträglichen, auf den 24. Februar 1939 datierten Aufruf dem Führer dafür zu danken, „dass er uns dieses Gesetz gegeben hat… und uns durch dieses Gesetz große neue Aufgaben stellt.“ 

Später wurde die 1. DVO zum HeilprG durch die 2. DVO zum HeilprG vom 3. Juli 1941 ergänzt. Mit ihr wurde vor allem der Buchstabe i) in den Paragrafen 2 der 1. DVO eingefügt. Dieser bestimmt, dass die Zulassung zum Beruf des Heilpraktikers zu versagen sei, „wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragsstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde“. 

In diesem Heilpraktikergesetz und den dazugehörigen DVO wurden die Heilpraktiker – wie damals alle Berufe – einem strengen nationalsozialistischen Regime unterstellt. Die Kurierfreiheit wurde damit abgeschafft. Sie wurde allerdings nicht durch ein Berufsverbot ersetzt, sondern durch eine Palette von Verfügungen, die den Beruf zum Aussterben bringen sollten. Dazu gehörten: Eine Erlaubnispflicht der weiteren Berufsausübung für die bei Verkündung des Gesetzes im Beruf stehenden Heilpraktiker sowie der in Ausbildung stehenden Schüler (§ 1, 1.DVO) mit einer sehr kurzen Meldefrist (bis 1. April 1939) bei der zuständigen unteren Verwaltungsbehörde. Eine spätere Erlaubnis durfte „nur in besonders begründeten Ausnahmefällen“ erteilt werden (§ 2,1 HeilprG) sowie ein Verbot der Heilpraktiker- Ausbildungsstätten (§ 4 HeilprG). Die Erlaubnis war an eine Mitgliedschaft in der „Deutschen Heilpraktikerschaft e.V.“ als Zwangsorganisation gebunden (§§ 6,7, 1.DVO). Und schließlich durfte die Erlaubnis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber oder dessen Ehegatte „nicht deutschen oder artverwandten Blutes ist“ (§ 2, 1. lit. c, 1.DVO). 

Rechtslage nach dem Nazi-Regime 

Mit dem Untergang des nationalsozialistischen Staates galten das Heilpraktikergesetz und die beiden Durchführungsverordnungen – zunächst auch mit der Zugangssperre zu dem Beruf – fort. 

Die Deutsche Heilpraktikerschaft e.V. hatte zwar als berufsständischer Zwangsverband keinen Bestand mehr. Aber die im Beruf stehenden Heilpraktiker durften mit der von den Gesundheitsbehörden im Jahre 1939 erteilten Erlaubnis weiter praktizieren. Sie organisierten sich von 1946 an nach dem Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches als Landesverbände neu. 

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des bestehenden Heilpraktikerrechts konnte erst mit vierjähriger Verzögerung, nach Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949, geprüft und entschieden werden. Entsprechend Artikel 12 Abs. 2 GG kann „die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden“. 

Damit schien eine grundgesetzkonforme Neufassung des Heilpraktikergesetzes eher eine Formalie zu sein. Folgerichtig erarbeitete die damalige Arbeitsgemeinschaft der Landesverbände der Deutschen Heilpraktikerschaft einen Entwurf eines solchen Gesetzes, der Anfang der fünfziger Jahre im Deutschen Bundestag besprochen werden sollte. Trotz Unterstützung aller damals im Bundestag vertretenen Parteien setzte die Bundesregierung den Beschluss nicht um. 

Soweit sich das im Abstand vieler Jahre rekonstruieren lässt, war es vor allem die Ärztelobby mit ihren Abgeordneten, welche die Verabschiedung eines neuen Heilpraktikergesetzes nach Kräften zu verhindern suchte. 

Parallel zu den parlamentarischen Bemühungen um ein neues Heilpraktikergesetz verlief die gerichtliche Überprüfung der Fortgeltung des bisherigen Gesetzes nach Art. 123 Abs. 1 GG, wonach „Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fort gilt, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht“. Danach konnten vor allem diejenigen Paragrafen keinen Bestand mehr haben, in denen die Zugangserlaubnis eingeschränkt und der Betrieb von Heilpraktiker-Ausbildungsstätten verboten worden war. Denn nach Art. 12 GG haben „alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“. 

Berufszulassungsgesetz 

Durch die grundgesetzkonforme Umgestaltung wurde die Intention des Heilpraktikergesetzes von 1939 aufgehoben. Es wurde aber kein spezifisches Berufsgesetz geschaffen mit Ausbildungs- und Prüfungsordnung, sondern weiterhin lediglich die Ausübung der Heilkunde durch Nichtärzte geregelt. 

Diese steht unter Erlaubnisvorbehalt, setzt damit ein präventives Verbot für Kurierfreiheit, das den Schutz des Einzelnen und der Allgemeinheit vor unberufenen Heilbehandlern bezweckt. 

Das heutige Heilpraktikergesetz ist durch seine Anpassung an die Vorgaben des Grundgesetzes zu einem Berufszulassungsgesetz geworden. Es erhält den Heilpraktiker als freien Heilberuf, der eigenverantwortlich in der unmittelbaren Patientenversorgung tätig ist. 

Zudem unterliegen seither die einzelnen Rechtsnormen des Heilpraktikerrechts kontinuierlicher Rechtsprechung und werden damit den Belangen an Patientensicherheit verbindlich angepasst. 

Ursula Hilpert-Mühlig 

Präsidentin des FDH 

Literatur: Das umfangreiche Archiv zum Heilpraktikerwesen des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker 

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Originalabbildungen des Heilpraktikergesetzes /Titelblatt/Auszüge (aus Archiv des FDH zum Thema Heilpraktiker)

 

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